Die erforderliche Bewegung mit dem Hund offenbart sich für viele Beteiligte als zwiespältiger Weg. Ist es überhaupt nötig, spazieren zu gehen? Bei manchen Hundehaltern scheint dies fast wie eine Schlüsselfrage zu sein.


Die Frage nach derBewegung mit dem Hund ist ein weites Feld, ein Problemfeld: die Diskussion um das "richtige" Bewegen entsteht und gedeiht nur in engen urbanen Gebieten, aber jenseits dieser dichten Besiedelungen, nie im weiten Land, nie bei Arbeitshunden bei Jägern oder Nutztierhaltern. Dort werden die Hunde beruflich bewegt.


Die Frage, meist gleichzeitig ein Problem, entsteht also wo anders. Nicht selten auf anderer Lebewesen Kosten. Dann gehört der nachbarliche Garten, das bestellte Feld des Bauern, der Wald den Hundebesitzern, die aus ihren Falschhaltungen, wenn es schönes Wetter ist (bei Regen oder Schneefall sieht man sie nie) in wildreiche Gegenden einfallen, als gehöre alles für den plötzlich entdeckten Hund ihnen.


Dann rückt oft die versammelte Rücksichtslosigkeit aus. Achtung! Wir gehen spazieren! Kinder, Alte, unsichere Reiter oder Fuhrwerke mit Pferden, Nutztierhirten und -züchter, ängstliche Kleinhundehalter, Behinderte, Hundephobiker, rücksichtsvolle Jogger, Walker, Geher, Radfahrer - und im Grunde alle anderen: aus dem Weg!


Über allen Wipfeln herrscht dann Unruh. Achtung! Spaziergänger mit meist miserabel ausgebildeten Hunden beherrschen für eine Stunde die Szene. Hunde reissen Schafe, treiben Kühe in die Weidezäune. Und schon ist der Konflikt programmiert. Keiner wills gewesen sein, die Hunde brauchen doch ihren Freilauf. Ja, plötzlich. Und eben vielfach auf anderer Kosten. Und das Wild im Wald hat dann auch Pech gehabt...


Einige Hunde-Aktivisten meinen etwas überheblich, Spazierengehen sei grundsätzlich langweilig, ja, es verblöde den Hund nur. Weil dort ja nichts geschehe. Vorurteil jener, die ihre Hunde für maximal eine Stunde nur Samstag, vielleicht noch Sonntag im Kaltstart zu Hochleistungen treiben, dann mehrere Stunden in seiner Box oder im "Sporthunde"-Anhänger darbt, der Menschen-Hundesportler dann aber drei Stunden im Vereinsheim hockt und Bier säuft? Da täuschen auch kein sportliches Sweat-Shirt oder die Jogginghose mit ein bis drei Streifen und sündhaft teuren Nike-, Addidas-, Reebok- oder andere Sportschuhe über den wirklichen Sport hinweg.


Bewegung mit dem Hund ist oft was anderes. Gibt es auf vielen Hundeplätzen aber auch. Agility- oder Breitensportler müssen sich mehr bewegen als so manche Schutzhundesportler: monotone Gehorsams-Übungen, Gebrüll, platzkonditioniert, wer treibt hier "Sport"? Werden nicht bei allerlei "Sport-Turnieren" mehr Kaffeetassen gehalten als sich an Hunden zu halten? Wird nicht mehr gequatscht als mit dem Hund gearbeitet? Ein Stammtisch macht noch keinen Sport. Also Hand aufs Herz: Wer verblödet da wen?


Wiederum andere missbrauchen ihren Hund in der Tat zum schieren Aktionismus, den sie selber natürlich nicht an sich diagnostizieren mögen. Es herrscht dabei oft purer Eigennutz, der Ehrgeiz hausgemacht und nur auf das Mittel zum Zweck Hund umfunktioniert. Auswüchse sind immer im Leistungsbereich zu finden.


Die Prüfungsnotoriker sind solche Aktionisten. Vermutlich verstehen sie auch einen zivilen Spaziergang auch als Teil einer Prüfungsordnung. Sie kennen nur noch Prüfungen, und so gehen sie nur von sich aus, wenn sie dies als lasch missdeuten, nur weil andere diese absolute Vermenschlichung der Prüfungsmanie verweigern. Denn diese Prüfungsgeilheit (der Hund braucht es nicht, aber sein dienstbeflissener Privatmensch, ich meine hier nicht Berufshundler) ist nichts anderes als das andere Extrem der Vermenschlichung.


Manche laufen Prüfungen (ja, so nennen sie es auch), als gäbe es nichts mehr anderes als diese eigentlich nur zur Kontrolle des Gelernten erdachten Tests. Für diese Fetischisten sind Prüfungen bereits die Beschäftigung, die Ausbildung an sich, dazwischen ist Leer- statt Lehrzeit. Sie leben für Prüfungen. Der Hund ist nur instrumentalisiert. Sie werden es aber nur begreifen, wenn sie entdecken müssen, dass es nur eine Selbst-Sucht ist.

Ja, und wie laufen sie denn? So, als wäre täglich Prüfung. Und wieder andere laufen vermutlich nur auf dem Hundeplatz "spazieren".


Wer von wirklichem Sport als beidseitiger Bewegung spricht, kann oft nur Schlittenhundesportler meinen, die zu jeder Saison mit ihren Hunden kilometerweise laufen, wie normale Langstreckenläufer oder Skilangläufer. Nicht wenige Schlittenhundefreunde kommen aus diesen Sportarten und wollen es nun eben mit den Hunden treiben. Es ist echtes Sporttraining.


Wer nun Schlittenhundsportler in die Ecke des Extremen stellt, dem sei gleich der Wind aus den Segeln genommen: es gibt natürlich auch die Tourensportler, die ohne Zeitmessung mit Schlitten oder Rollwagen "zügig wandern". Womit wir fast beim hurtigen Spaziergang mit mehreren Hunden wären.


Haben die Hundehalter mit ausgesucht aktiven Temperamenten und Laufbedürfnissen nicht die Überheblichkeit zu bevormunden: Hunde mit anderen Bedürfnissen, Temperamenten, körperbaulichen oder gar gesundheitlichen, altersgemässen Voraussetzungen, und Haltern, die dies bevorzugen? Wie viele halten Hetzhunde stets nur in dichten Gebieten an der Leine? Das ist so, als würde Michael Schumacher seinen Formel 1-Ferrari im Stadtpark im ersten Gang vergewaltigen müssen. Hetzhundehalter haben und nutzen wenig Möglichkeiten, ihren schnellen Hunden den Ersatzsport Hunderennen zukommen zu lassen.


Ein Spaziergang kann und soll anders gestaltet werden als ein öder Trott. Spazierengehen mit dem Hund sollte immer eine lockere Wanderung mit eingestreuten Ausbildungsübungen sein. Aber nie eintönig, immer abwechselnd, neue Wege gehen. Oder man geht den sehnsüchtig vom Einzelhund erwarteten Weg, auf der bekannten Hundewiese seine Artgenossen zum Spiel, zum spielerischen Fährten, zur alltäglichen, aber immer anderen, daher vielseitigen echten Sozialisierung zu treffen. Was auch den gesellschaftsfähigen Haltern willkommen ist.


Hunde können sich oft artgerechter miteinander beschäftigen als Mensch mit ihrem Einzelhund. Daher ist jeder zweite Hund im Haushalt oft besser als ein monotoner Trott mit strengen Regeln. Auch ständiges Bei-Fuss-Laufen auch ohne Leine ist nur hoher psychischer Druck (pemanenter Gehorsam). Was ist daran "Freilauf"?

Arbeiten, hier: Trainieren, mit kleinen Grundausbildungsübungen beim Gehen eingestreut, auch das Laufen lassen neben dem Fahrrad, soll man nur, nachdem sich der Hund ausreichend gelöst hat.


Wenn oft geschrieben steht, der Hund brauche "mindestens zwei Stunden täglichen" Spaziergang, so ist dies Quatsch. Wie unpraktikabel und auch fachlich falsch diese Pauschal-Regel ist! Es kommt auch noch nebenbei auf die Kondition und Konstitution des Hundes an.

Wer hat ausser Rentnern und Arbeitslosen Zeit für zwei Stunden täglichen Spaziergang, und das in Feld und Flur, in Grünanlagen, die für Hunde genehmigt sind? Gut, es werden von den beiden genannten Hundehalter-Gruppen hier auch immer mehr...


Es kommt auf die Art des Spaziergangs an und nicht auf die Dauer. Eine halbe Stunde höchst abwechslungsreichen und mit vielen Laufintervallen angereicherter Ausgang auf unterschiedlichen Wegen ist wesentlich vielseitiger und befriedigender als ein zwei Stunden mehr oder weniger "geordnet" dahintrottender Gang.


Bei Temperaturen sagen wir mal über 30 Grad sucht jeder Hund, wenn er denn darf, freiwillig einen Schatten und Ruheplatz und läuft nicht zwangsweise spazieren an der prallen Sonne, womöglich auch noch auf heissem Asphalt, also ballenschändend. Manche Privathundehalter aber scheinen einfühlsarm ausgerechnet dann zu müssen, sie haben "gerade Zeit", sie denken nur an sich.


Trainieren (auch mit dem Rad) ist dann Stress, wenn der Hund dabei weder schnüffeln (Duftstoffe von anderen Lebewesen) noch sich locker lösen kann. Es sind mehr oder minder miese Verlegensheitslösungen. Und wer sich erlaubt, diese Halter darauf hinzuweisen, erntet Empörung. Dass sich jene nur aus schlechtem Gewissen wegen grundsätzlich mängelhafter Haltung und zu langer Trennung ernährt, verdrängen die Getroffenen.


Auch ein Spaziergang zu Fuss unter zeitlichem Druck ist kontraproduktiv. Der Hund erinnert sich an Druck und nicht an Freude. Er wird also dann unter solchen Umständen immer beim Sich-Lösen gehemmt sein. Es gibt auch noch die üblen Tierquäler, die einen Hund schnell mal auf dem Feldweg hinter dem abgasenden Auto - krebsreregend - herrennen lassen. Ich empfehle das mal auf Nasenhöhe den Haltern, selbst zu tun.


Doch Vorsicht bei Beobachtungen, die nur von Ferne bei der Kombination Auto und Hund beurteilt werden: es könnte ein vorübergehend oder stets gehbehinderter Mensch sein, der seinen Hund rausführen muss, damit er sich ausschnüffeln kann. Den Hund hinter dem Auto herrennen zu lassen, gilt natürlich nicht als Ausflucht. Da muss sich der Behinderte eben einen lauffähigen Ausführer suchen.


Es ist kinder- und tierschändlich, wenn man glaubt, jeden Hund mit jedem Kind unter 15 allein spazierengehen zu lassen. Wenn die Eltern keine Zeit für einen Spaziergang mit dem Hund aufwänden mögen, dann sollen sie diese Aufgabe nicht einem Kind aufbürden. Leider gibt es viele Hundehalter, die auf diese verantwortungslose Weise auch noch demonstrieren wollen, das Kind beherrsche den Hund oder der Hund sei so lieb, dass er selbst mit einem Kinde brav sei. Die Eltern dürfen drauf warten, bis es zu einem Zwischenfall kommt. Dann hat das Kind ein Trauma und der Hund Glück, wenn er nicht zu noch mehr Schaden kommt, wenn er ein Hund über 40 cm ist.


Es ist selten geworden, dass sich Radfahrer oder Kinderwagen-schiebende Menschen bei einem Hundehalter bedanken, der für diese Zeit mal eben seine Hunde sichert. Nur so könnte sich wieder gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Dazu gehören aber immer zwei Parteien.

Es gibt immer Wege und auch hundegerechte Kompromisse. Der Hund geht ohnehin viel mit uns ein. Die ganzen Schwierigkeiten der letzten Jahre um die Hundehaltung allgemein entstanden nur in städtischen Gegenden, mit städtischen Problemen. Nicht auf dem Land. (Dort sieht man auch die Kurzkettenhunde nicht so...)


Es gibt aber auch einen sehr positiven Gesichtspunkt für einen lockeren abwechslungsreichen Spaziergang, bei dem man immer mal für wenige Minuten Grundausbildung trainieren kann: So sehen auch Hundeängstliche, dass der oder die Hunde unter Kontrolle stehen und so sorgt dieser Hundehalter für ein gutes Bild in der hundefeindlichen Öffentlichkeit.


Die Hunde haben auch dieses schlechte Image nicht auszubaden. Das haben die Hundehalter - auch als Vertreter für die Unbelehrbaren - nötig, eben wegen asozialer Hundehalter, die glauben, ein Spaziergang ist für sie und ihren Hund ein Freischein für alles.


Jeder hundeängstliche Mensch, den ein Hundehalter zu einem hundefairen gemacht hat, ist ein Gewinn für uns und unsere Hunde. Dazu ist ein Spaziergang in der menschenreichen, hundereizüberfluteten Öffentlichkeit bestens geeignet. Und es gibt noch ein Argument für das Laufen mit dem Hund: viele Hunde sind übergewichtig, womöglich im Gleichschritt mit ihren Haltern. Dagegen hilft vor allem die gemeinsame Bewegung, und die geht nun mal am sinnvollsten und abnehm-wirksamsten mit Spaziergängen.


Es geht nichts über einen lockeren anregenden Spaziergang, bei jedem Wetter. Noch schöner, wenn es draussen schlechtes Wetter ist. Wir sind allein, nur wenige Spaziergangprofis sind dann unterwegs, die nehmen dann auch Rücksicht auf andere Tiere und Menschen.


Wer da meint, ein Spaziergang sei langweilig, soll erst nachdenken, bevor er pauschal urteilt. Es liegt am Spaziergänger, ob er diese Bewegung langweilig gestaltet oder nicht. Manche vermeintliche, die sich so eigenartig als alleinige Hundesportler verstehen, bewegen sich und den Hund weniger natürlich als ein routinierter Wanderer mit seinem Teckel.

Ein Spaziergang macht also immer Sinn - wenn er in der Natur und friedfertig abläuft. Der tägliche Philosophenweg ist das Ziel. Denn manchmal ist Nachdenken auch Denksport.

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© Hundezeitung 11/2003